Das grosse Glück mit Schere und Papier

     


    Mit spitzer Feder …


    (Bild: zVg)

    In unserem Alltag, der oft von Stress und ständiger Ablenkung geprägt ist, bleibt kaum Zeit für Selbstreflexion und persönliche Entwicklung. Dennoch gibt es einen Raum, der uns diesen dringend benötigten Spielraum bietet: Die Welt der Kreativität. Ich habe lange Zeit meine Kreativität nur im Schreiben – privat wie auch bei meiner Arbeit – sowie im Ballett ausgelebt. Ich hatte aber innerlich immer den Drang, mich noch zusätzlich kreativ zu betätigen. Dieser Wunsch schlummerte mein halbes Leben lang in mir und reifte so vor sich hin. Es war ein abenteuerlicher Prozess bis ich herausfand, welche Art von Kreativität zu mir passt. Ich hatte lange weder den Mut und die Energie, noch die Zeit dazu. Und da war noch mein innerer Kritiker, der immerzu rief: «Du kannst nicht malen und zeichnen, das haben dein Zeichnungslehrer und deine Mutter gesagt. Alle anderen machen es viel besser!». Und dann vor drei Jahren starb meine Mutter und tief in mir brach ein Damm und spülte viel Trauriges und Schweres, aber auch viel Neues, Schönes und Zauberhaftes ans Licht. Und da war er wieder – mein inniger Wunsch nach Kreativität. Mein Herz und meine Seele und mein Körper schrien danach: Drücke dich aus, greife zu Pinsel, Stift und Schere. Schon als Kind liebte ich Papeterien und der Duft nach Papier-Schreibwaren. Er lockte mich verheissungsvoll in eine neue Welt. Meine innere Stimme flüsterte mir zu: «Du magst Collagen!». Und meine Intuition führte mich zu Regula Stücki, eine fantastische Collagen- und Papierkünstlerin in meiner Lieblingsstadt Bern. Ich besuchte einige ihre Workshops in ihrem zauberhaften Atelier im Marzili Bern und fühlte mich geborgen, wohl, zuhause und angekommen. Ich trat ein ins Paradies und wurde für Stunden zum Kind – gefüllt mit den Glückshormonen Dopamin, Serotonin und Endorphin – die mich tagelang fliegen liessen! Himmlisch – zauberhaft – perfekt!

    Mein inneres Kind wollte mehr davon: Schere, Leim und Buntstifte wurden meine besten Freunde. Sie haben sich als kraftvolles Werkzeug erwiesen, um nicht nur mein künstlerisches Selbst auszudrücken, sondern auch, um tief in mich selbst zu schauen und Probleme besser zu erkennen und zu lösen. Meine Kreativität ist für mich und mein inneres Kind zu einem überlebensnotwendigen Spielraum geworden. Ich habe mir ein sogenanntes «Junk Journal» zugelegt. Das ist eine Art Tagebuch, wo man alle wichtigen Erlebnisse, Eindrücke, Termine und vieles mehr hineinschreibt, klebt, malt, zeichnet, stempelt, verziert – die Möglichkeiten sind grenzenlos. Mein «Junk Journal» ist so eine Art «Wunderland von Alice» – ein Seelenbuch für mein inneres Kind. Immer, wenn ich etwas verarbeite, es mir nicht so gut geht, wenn ich meine Gedanken geistig ordnen will oder einfach, wenn ich in meine wundersame, kreative Welt eintauchen möchte, greife ich zu Schere, Papier und Leim.

    Kreativität ist mehr als nur mein Hobby oder eine künstlerische Begabung. Sie ist ein überlebensnotwendiger Spielraum für meine Psyche. In Momenten der Kreativität finde ich einen Ort, an dem ich meine Gedanken sortieren, Emotionen ausdrücken und Lösungen für «meine Knöpfe» finden kann. Dabei steht der Schaffensprozess im Vordergrund. Der Akt des Collagierens selbst ist heilend und lenkt den Fokus auf den gegenwärtigen Moment. Das Betrachten meines «Junk Journals» lässt mich über meine eigenen Gedanken und Gefühle nachdenken. Das alles fördert Selbstreflexion und Bewusstwerdung. In diesen Momenten des künstlerischen Ausdrucks finde ich nicht nur Freude am Schaffen, sondern auch eine tiefe Ruhe, die mir hilft, meinen Geist zu beruhigen und mich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren. Meine Collagen sind für mich kreative Selbstfürsorge, eine zauberhafte Oase des Innehaltens und des Ausruhens – Zeit ganz alleine für mich. Diese kreative Selbstreflexion ermutigt mich, meine Träume, Ängste und Wünsche zu erkunden und eine Welt zu gestalten, die von Innovation und positivem Wandel geprägt ist.

    Ich nehme mit dem Pinsel, der Schere, dem Farbstift oder den Leim das Leben selbst in die Hand und begebe mich auf eine wunderbare, fantasievolle, entzückende Reise durch meinen Geist und meine Seele – was gibt es denn Schöneres als eben ganz in mir selbst zu ruhen!

    Herzlichst,
    Ihre Corinne Remund
    Verlagsredaktorin

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