Schuldig oder nicht-schuldig: Wenn Menschen über Menschen entscheiden


    Buchtipp von Lilly Rüdel


    Spannend, mitreissend, nachdenklich. Mit dem Roman «Terror» gelingt es Ferdinand von Schirach seine Lesenden, in ein fiktives Szenario im Gerichtssaal eintauchen zu lassen. Der Leser in der Rolle des Richters hat die Macht zu entscheiden: ist der Angeklagte schuldig? Gesetz oder Moral, was zählt?

    (Bild: zVg)

    Stellen Sie sich vor, Sie fahren im Auto auf einer Strasse in eine Ortschaft. Es ist ein regnerischer Nachmittag und die Fahrbahn ist nass. Plötzlich verlieren Sie die Kontrolle über ihr Auto und es schleudert über die Strasse. Ihnen bleiben nun zwei Möglichkeiten zu handeln: entweder bleiben Sie auf Ihrer Spur und fahren gerade aus auf den Zebrastreifen zu, dort befindet sich eine ältere Dame. Oder Sie weichen nach rechts aus, wo sich ein junges Mädchen befindet. Was machen Sie? Dieses moralische Dilemma ist nicht einfach mit falsch oder richtig zu beantworten. Die Mehrheit der Befragten würde sich wahrscheinlich dafür entscheiden, eher das junge Mädchen zu retten, da dieses in ihrem jungen Alter noch ihr ganzes Leben vor sich hat. Würden Sie sich aber noch immer gleich entscheiden, wenn die ältere Dame Ihre Oma wäre?

    In Schirachs Szenario tauschen wir die Altersdifferenz durch eine Mengendifferenz aus. 164 Menschenleben gegen die Leben von 70’000 Menschen. Ein Flugzeug der Lufthansa wurden von Terroristen gekapert. Diese kündigen an, dass sie mit dem Flugzeug in die vollbesetzte Allianz-Arena in München fliegen. Als Kampfpilot eines Militärjets erhalten Sie von ihrem Vorgesetzten den Befehl, dass Sie das Flugzeug unter keinen Umständen abschiessen dürfen. Befolgen Sie also den Befehl und lassen das Flugzeug in das Stadion fliegen oder schiessen Sie es trotzdem ab? Erwägen Sie die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Fluggäste gegen die Terroristen wehren könnten? Ziehen Sie dies in Erwägung oder setzen Sie die Besucher des Stadions der Gefahr einer tödlichen Explosion aus? Durch die Verkettung weiterer Ereignisse wird es immer schwieriger, eine Entscheidung zu treffen und stellt den Leser/in schlussendlich vor die alles-entscheidende Frage: Gesetz oder Moral?

    (Bild: pixabay) Schuldig oder nicht schuldig: Der Leser in der Rolle des Richters hat die Macht zu entscheiden.

    Der Handlungsort des Buches «Terror» ist der Gerichtssaal mit dem Kampfpiloten als Angeklagten. Schirach schildert die Ereignisse des Prozesses detailgetreu, dabei hat er stets die Objektivität vor Augen. Zu keinem Zeitpunkt positioniert sich der Autor und lässt den Leser selbst den Ausgang des Gerichtsprozesses wählen. Der Leser übernimmt die Rolle des Richters und darf am Ende des Buches entscheiden: schuldig oder nicht-schuldig. Das Buch zeigt auf wie eine Verknüpfung von Details es fast unmöglich macht, sich zwischen Schwarz und Weiss zu entscheiden. Die Würde des Menschen ist unantastbar, aber welche Menschenwürde ist wichtiger? Begeben Sie sich auf die Reise, sich selbst Ihre eigene Meinung zu bilden.


    Über der Autor
    Ferdinand von Schirach ist ein deutscher Schriftsteller. Er wurde am 12. Mai. 1964 in München geboren. Er besuchte ab dem Alter von 10 Jahren das von Jesuiten geführte Kolleg St. Blasien. Nach dem Abitur trat er aus der Kirche aus und ging zur Bundeswehr. Anschliessend studierte Schirach Jura in Bonn und liess sich später in Berlin als Rechtsanwalt nieder, spezialisiert auf Strafrecht. Eines seiner bekanntesten Fälle war der Mauerschützenprozessen, bei dem Schirach Günter Schabowski vertrat. Als Mauerschützenprozess werden Gerichtsverfahren genannt, in denen es sich um die tödlichen Schüsse an der Berliner Mauer drehte. 2009 veröffentlichte er sein erstes Buch «Verbrechen», eine Sammlung von Kurzgeschichten aus seinem Leben als Rechtsanwalt. Seine Bestseller wie «der Fall Collini» und «Tabu» wurden millionenfach in über 40 Ländern verkauft.

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